Die Erfahrung, Mathe in der Schule nicht verstanden zu haben, war zumindest bis zum Ende der neunziger Jahre unter Erzieherinnen weit verbreitet. Nicht zuletzt aufgrund des schlechten PISA-Abschneidens von 15jährigen deutschen Schülerinnen und Schülern in Mathematik scheinen sich die Einstellungen gegenüber Mathematik nun zu wandeln.
Nachdem Angelika von der Beek in Heft 5/06 einen Blick in die Geschichte der mathematischen Bildung im Kindergarten warf und den Bildungsansatz nach Anregungen befragte, widmet sie sich nun neuen Ansätzen und weiterführenden Konzepten früher mathematischer Bildung.
Da wir inzwischen sehr viel über generelle Lernprozesse wissen, aber nur wenig über die Vorgänge, anhand derer sich bei kleinen Kindern mathematische Denkweisen herausbilden, ist eine Auseinandersetzung mit den gegenwärtig vorhandenen Konzepten nötig, um zu Empfehlungen für eine Didaktik der Mathematik im Sinne des Bildungsansatzes zu kommen.
Neue Ansätze zur frühen mathematischen Bildung
In jüngster Zeit hat Gerhard Preiß, Professor für Didaktik der Mathematik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, auf der Grundlage einer von ihm so genannten Neurodidaktik das »Zahlenland« entwickelt, ein Konzept für die frühe mathematische Bildung von Kindern im Vorschulalter. Mit dem Begriff »Neurodidaktik« will Preiß den neurobiologischen Bedingungen der Lernfähigkeit des Menschen nachgehen, um Erkenntnisse für die Didaktik der Mathematik zu gewinnen.2 Diese Erkenntnisse sollen vor allem jungen Menschen mit Lernschwierigkeiten zugute kommen. Anhand eines Fallbeispiels schildert Gerhard Friedrich, ein Mitarbeiter von Preiß, die neurodidaktisch begründete Vorgehensweise. Sie besteht, knapp zusammengefasst, darin, vom Wissen des Schülers – in diesem Fall eine jungen Frau, der von der Schule eine massive Rechenschwäche bescheinigt wurde – auszugehen und mathematisch sinnvolle Lernsituationen zu arrangieren.3 Der Grundlagenliteratur für das »Zahlenland« ist zu entnehmen, dass die Didaktik der Mathematik für Kinder im Vorschulalter vor allem in der Arbeit mit geistig behinderten jungen Erwachsenen entwickelt wurde. Zusammenfassend heißt es: »Das Projekt ›Didaktische Träger für Zahlen‹ schlägt einen neuen Weg für die Anfänge der Arithmetik vor. Es soll den Aufbau grundlegender Erfahrungen mit natürlichen Zahlen vor allem für solche Kinder und Jugendliche erleichtern, für die die Abstraktheit der Mathematik eine besonders hohe Hürde darstellt.«4 »Didaktische Träger für Zahlen« sind zum Beispiel der »Zahlenraum« – also Standorte von Zahlträgern in einem konkreten Klassen- oder Kindergartenraum – und das »Zahlgärtchen« aus Ton oder Holz, das den geometrischen Aspekt der entsprechenden Zahl hervorhebt. »Das Gärtchen für die Zahl 4 beispielsweise besitzt eine quadratische Grundfläche, die von vier ›Mauern‹ umgeben ist, auf denen jeweils die Ziffer ›4‹ angebracht ist. In den vier ›Ecken‹ des Gärtchens steht jeweils ein ›Baum‹ mit einem ›Vogelnest‹, in das ein ›Ei‹ gelegt werden kann. In der Mitte befindet sich eine ›Mulde‹ (Blumenbeet) mit vier ›Steinen‹ (4 Blumen). Die Zahlgärtchen werden auf die zugehörigen Zahlträger gestellt.«5
Gegen eine solche Mathematik-Didaktik ist auf der methodologischen Ebene einzuwenden, dass eine Verbindung zwischen Zahlen und anderen Gegenständen hergestellt wird, die völlig beliebig ist. Dabei ist klar, dass Zeichen und Bezeichnetes keine Verbindung miteinander haben, sondern dass diese Verbindung erst hergestellt werden muss. Ian Stewart, ein englischer Mathematikprofessor und Wissenschaftsjournalist, stellt in seinem Buch »Die Zahlen der Natur. Mathematik als Fenster zur Welt« fest: »Mathematik verwendet Symbole, aber sie ist genauso wenig mit jenen Symbolen gleichzusetzen wie Musik mit der Notenschrift oder Sprache mit den Buchstabenreihen des Alphabets.«6 Beim »Zahlenland« werden die Zahlen jedoch nicht nur mit Dingen assoziiert, die nichts mit ihnen zu tun haben. Sie werden darüber hinaus kostümiert.
Unter praktischen Gesichtspunkten erscheint es problematisch, dass eine in der Arbeit mit Menschen, die basale Probleme mit Mathematik haben, entwickelte Didaktik auf junge Kinder angewendet wird. Die Ausgangslagen von Menschen mit Behinderungen oder Menschen, die eine längere entmutigende schulische Lernkarriere hinter sich haben, ist nicht zu vergleichen mit der Ausgangslage von kleinen Kindern.
Unter den Neuerscheinungen zur Einführung in die Mathematik in der frühen Kindheit7 hat das »Zahlenland« in Kindergärten offenbar besonderes Interesse gefunden, weil es einen ganz neuen Zugang verspricht. Gerhard Preiß reagierte darauf und legte umfangreiche Materialien vor. Neben detaillierten Verlaufsplänen für die Lerneinheiten 1 bis 10 der »Entdeckungen im Zahlenland« gibt es inzwischen auch »Geschichten aus dem Zahlenland«, insgesamt zehn Bücher mit je einer Geschichte für die Zahlen 1 bis 10.8 Anhand des Buches eines ehemaligen Mitarbeiters von Gerhard Preiß, das einen besonderen Akzent auf die Verbindung von Mathematik und Musik legt, soll das Konzept des »Zahlenlandes« im Folgendes kurz vorgestellt werden.9
1 Titel des Buches von Albrecht Beutelspacher. Vieweg Verlag 1996
2 Siehe dazu: Preiß, G. (Hrsg.) 1996: Neurodidaktik. Centaurus Verlags-Gesellschaft
3 Friedrich, G.: Die Praktikabilität der Neurodidaktik. Ein Analyse- und Bewertungsinstrument für die Fachdidaktik. In: Preiß, G. (Hrsg.) 1996
4 Preiß, G.: Das Projekt »Didaktische Träger von Zahlen«. In: Preiß, G. (Hrsg.) 1996, S. 122
5 a.a.O., S. 109
6 Stewart, I. 2001: Die Zahlen der Natur. Akademie Verlag, S. 45
7 Zum Beispiel Müller, G. N./ Wittmann, E. Ch. 2005: Das kleine Zahlenbuch für 4- bis 7-jährige Kinder. Band 1: Spielen und Zählen. Band 2: Schauen und Zählen. Kallmeyer’sche Verlagsbuchhandlung
8 Geschichten aus dem Zahlenland 1 bis 5. Geschichten aus dem Zahlenland 6 bis 10. Text: Gerhard Preiß. Illustration: Lee, K. I./ Kwack, S. Y./ Kim, Y. D./Park, S. J./Lee, H. J. Eigenverlag Prof. Preiß, 2004
9 Friedrich, G./de Galgóczy, V. 2004: Komm mit ins Zahlenland. Christopherus Verlag
www.mathematik.de
Die Website ist ausdrücklich für alle Menschen konzipiert, die sich für Mathematik interessieren oder sich informieren möchten. Auch für Sie findet sich auf dieser Seite bestimmt etwas Interessantes.
www.rahmenplan.de
Wie werden die Bildungspläne in der Praxis umgesetzt? Auf dieser Website werden Methoden, Spiele und andere Aktivitäten vorgestellt, die sprachliche, mathematisch- naturwissenschaftliche, musische oder ästhetische Bil-dung befördern. Unter > Mathematik finden Sie entsprechende Aktivitäten.
www.rechenschwaeche.de
Die Website des Mathematischen Institutes zur Behandlung von Rechenschwäche oder Dyskalkulie.
www.dyskalkulie.de
Der Verein für Lerntherapie und Dyskalkulie e.V. stellt sich auf dieser Seite vor. Er will betroffenen Kindern und ihren Eltern helfen.
www.ztr-rechenschwaeche.de
Die ZTR-Institute sind private, interdisziplinär arbeitende Einrichtungen zur Diagnose, Behandlung und Erforschung der Rechenschwäche/ Dyskalkulie. Die Niederlassungen des ZTR-Verbundes sind Träger ambulanter Hilfen nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG).
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 06-07/06 lesen.