Als Gerlinde Lill die »Voraussetzungen für einen guten Schulstart« las, dachte sie, das sei eine Kabarett-Nummer, die den alltäglichen Schrecken, den sie in ihrer Rubrik »Das Allerletzte« auch regelmäßig an den Pranger stellt, der Lächerlichkeit preisgibt. Aber es stellte sich heraus: Das Folgende ist bitterer Ernst für Schulanfänger und ihre Eltern. Ein schauriges Beispiel, 2007 in Deutschland aufgelesen.
Die Liste auf Seite 15 wird in einer Grundschule in Berlin verteilt.
Man muss wissen: In Berlin werden Kinder inzwischen mit fünfeinhalb Jahren eingeschult, Schulfähigkeitstests entfallen, niemand wird ausgesondert oder zurückgestellt, die Kinder werden jahrgangsübergreifend unterrichtet, differenzierte Arbeit wird daher vorausgesetzt.
Rechts- und sittenwidrig, aber unverdrossen
Abgesehen davon, dass jedes einzelne Item auf seine innere Logik und seine Realisierbarkeit zu hinterfragen wäre… Abgesehen davon, dass dieser Katalog eine Beleidigung von Kindern ist, weil er ihre tatsächlichen Kompetenzen ignoriert, und dass im Übrigen etliche der erwarteten Fähigkeiten bei vielen Erwachsenen eher »schlechter/weniger« ausgebildet sind… Abgesehen davon, dass unterschiedliche Kulturen und Sprachen überhaupt nicht vorkommen und auch sonst keine Unterschiede in den Voraussetzungen mitgedacht wurden, setzt diese Schule Fähigkeiten voraus, die ihr eigener Gegenstand sind.
Unerhört, unverschämt und eine Zumutung!
Schlimmer noch: Das Ansinnen der Lehrerinnen ist nicht allein schwarz-pädagogisch, sondern rechtswidrig. Sie verstoßen gegen das Schulrecht und versuchen, ihre Privatmeinung durchzusetzen. Sie verstoßen gegen zwei Datenschutzgesetze (Bund und Land Berlin), weil sie diese Daten überhaupt erheben – und falls sie sie speichern. Sie verstoßen gegen Geist und Inhalt des Berliner Bildungsprogramms für die Kita und gegen den gerade vorgelegten Entwurf zum Bildungsprogramm der Ganztagsgrundschule. Alles, was damit in Gang gesetzt werden soll, wird konterkariert.
Die Frage ist, was Schul- und Jugendbehörde dazu sagen und was sie dagegen unternehmen.
Vorauseilender Gehorsam
Es verwundert nicht, dass Eltern angesichts solcher Ansinnen vor Schreck erstarren.
Jedenfalls dann, wenn sie denken, ihr Kind sei »schlechter«. Ebenso wenig verwundert, dass sie von der Kita verlangen, ihr Kind möge entsprechend der Schulerwartungen präpariert werden.
Eltern kennen es nicht anders. Woher auch? Sie selbst haben es seinerzeit so oder ähnlich erlebt: Die Schule fordert Wohlverhalten und Funktionieren. Wer nicht pariert, wird bestraft, stigmatisiert und im schlimmsten Falle ausgesondert. Was das angesichts der heutigen Lehrstellen- und Arbeitsplatzsituation bedeutet, weiß jeder.
Die Nöte von Eltern sind also zu verstehen. Fragt sich, was wir Kitaprofis tun können.
Auf keinen Fall Folgendes: In vorauseilendem Gehorsam genau das zu erfüllen, was »schwarze Schule« verlangt. Damit würden wir den unseligen Kreislauf von Angst und Anpassung stabilisieren, statt zur Veränderung beizutragen. Veränderung ist nämlich dringend nötig und politisch bereits beschlossene Sache. Die Politik ist hier deutlich weiter als die (mancherorts verbreitete) Praxis.
www.kmk.org
Auf den Seiten der Kultusministerkonferenz gibt es weitere Informationen zu den geltenden Schulgesetzen der bunten Republik Deutschland. Durchklicken über > Dokumentation > Rechtsvorschriften und Lehrpläne der Länder.
www.bildungsserver.de
Weitere umfangreiche Informationen finden sich in den kommentierten Linklisten des Bildungsservers unter > Elementarbildung – Bildung und Erziehung in Kindertagesbetreuung > Übergänge..
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 04/07 lesen.