Eingewöhnung im Alltag der Kindergruppe
Gegenwärtig werden viele neue Einrichtungen für Kinder im Alter von null bis drei Jahren eröffnet. Zunehmend werden altersgemischte Gruppen gebildet und Zweijährige in Kindergärten aufgenommen. Bis 2013 sollen für rund 35 Prozent der Kinder, die jünger als drei Jahre sind, in Deutschland Betreuungsplätze geschaffen werden.
In der politischen Auseinandersetzung um dieses Ziel wird deutlich, dass ein quantitativer Ausbau allein nicht ausreicht. Damit dieser Ausbau auch wirklich den Kindern und ihren Familien zugute kommt, braucht es Qualität. Und dabei spielt die Zeit der Eingewöhnung eine entscheidende Rolle. Anna Winner stellt das Münchner Eingewöhnungsmodell vor.
Die Gestaltung einer behutsamen Übergangszeit von der Familie in die Kindertagestätte gemeinsam mit Eltern und Kindern gehört zu den unverzichtbaren Qualitätskriterien. Sie ist das A und O für qualitätsvolle Bildung, Erziehung und Betreuung von Vorschulkindern.
Abrupte und plötzliche Veränderungen im Leben, auf die wir keinen Einfluß nehmen können, versetzen auch Erwachsene in eine passive und hilflose Position, auf die sie häufig mit Wut oder Verdrängung reagieren. Bei Erwachsenen wie bei Kindern kann dies zu traumatischen Erlebnissen führen. Allmähliche Veränderungen erlauben es dagegen, dass sich die Beteiligten aktiv mit der neuen Situation auseinander setzen können und lernen, Probleme durch bewusste Handlungen zu überwinden.
Den Übergang behutsam und allmählich zu gestalten bedeutet aber nicht, dass er problemlos abläuft und ohne Anstrengungen bewältigt werden kann, denn er stellt für jede Familie eine neue Herausforderung dar.
Die Eingewöhnung – eine Übergangsphase für die ganze Familie
Übergangsphasen sind krisenhafte Phasen in der Entwicklung. Durch erst- oder einmalige einschneidende Ereignisse gerät das ganze familiäre Gefüge aus dem Gleichgewicht. Die gewohnten Rollen kommen ins Wanken, und zumindest von einer Person wird erwartet, dass sie eine neue Rolle übernimmt.
Solche Übergänge werden als Transitionen bezeichnet, weil sich die Personen in einem Schwebezustand befinden: Sie sind nicht mehr … und noch nicht … Erst wenn sie in der neuen Rolle angekommen sind, ist die Übergangsphase abgeschlossen.
Menschen durchlaufen in ihrem Leben immer wieder Übergangsphasen: Der Eintritt in die Schule, das Jugendalter, die erste Anstellung im Beruf oder die Geburt eines Kindes gelten als solche Transitionen. Auch der Eintritt in die erste Kindertageseinrichtung wird von der Familie als Übergangsphase erlebt. Während der Eingewöhnung fühlt sich das Kind nicht mehr nur als ein »Zuhause-Kind« und noch nicht wirklich als ein »Krippenkind«. Die Eltern erleben sich nicht mehr als ganz allein Erziehende und noch nicht ganz als Krippenkindeltern.
Übergangsphasen sind von starken und häufig zwiespältigen Emotionen begleitet. Die Beteiligten stehen unter einem gewissen Druck. In relativ kurzer Zeit muss viel Neues gelernt werden, weil die bis dahin entwickelten Fähigkeiten nicht mehr ausreichen, um die neue Situation zu meistern. Gerade darin liegt aber auch die Chance von Übergängen.
Diese Entwicklungsrealität steht in gewissem Widerspruch zu unserer pädagogischen Idealvorstellung von einer allseitigen und harmonischen Entwicklung und von der glücklichen und konfliktfreien Kindheit. Krisen sind zwar anstrengend, aber unvermeidlich und, ob wir wollen oder nicht, Motor für Entwicklung.
Auch Kleinkinder entwickeln sich in der aktiven Auseinandersetzung mit sich selbst und ihrer Umwelt. Dabei entstehen Konflikte mit neuen Anforderungen der Umwelt. Kinder, die vor einem neuen Entwicklungsschritt stehen, wirken häufig besonders unruhig und gereizt; sie scheinen völlig aus dem Gleichgewicht zu sein. In »Die Krise des Einjährigen« beschreibt Wygotski das Laufenlernen so: »Im Mittelpunkt steht das Laufenlernen, jene Periode, in der man nicht sagen kann, das Kind läuft bereits oder läuft noch nicht. Es geht um das im Entstehen begriffene Laufen…: Es ist da und es ist nicht da.«1
Manchmal werden Kinder in solchen Phasen sogar richtig krank. Sie brauchen eine Pause. Lässt der Entwicklungsdruck nach, laufen sie plötzlich und ernten voller Lust die Früchte des Lernens. »Nach jeder dieser Umbruchphasen erwecken die Kinder den Eindruck, dass in ihrem subjektiven Selbst … große Veränderungen stattgefunden haben. Plötzlich wirken sie wie verwandelt.«2 Sie sind wieder im Gleichgewicht.
Forschungsergebnisse zeigen, dass Menschen die Lernerfahrungen in einer Transition auf die folgenden übertragen. Erlebt ein Kind, dass es solche Phasen erfolgreich bewältigen konnte, entdeckt es seine Kompetenzen. Erfährt es die Unterstützung seiner Umwelt, geht es gestärkt aus der Transition hervor. Doch erlebt es sich in diesen Phasen überwiegend als »Objekt«, als hilflose Person, die auf das Geschehen wenig Einfluss nehmen kann, geht das Kind geschwächt und ohne neu gewonnene Kompetenzen aus der Transition hervor. Ziel der Eingewöhnung ist es deshalb, die Übergangs- und Trennungssituation als positive Lernmöglichkeit für alle Beteiligten zu gestalten.
Wissenschaftliche Forschungen der letzten Jahre3 liefern Hinweise, unter welchen Bedingungen Übergangssituationen mit höherer Wahrscheinlichkeit gut bewältigt werden. Folgende Ziele sollen während der Eingewöhnung erreicht werden:
• Das Ereignis ist erwünscht.
• Die Personen gestalten den Übergangsprozess aktiv mit und erleben sich als lernfähig und erfolgreich.
• Sie bekommen Unterstützung durch vertraute Personen.
• Sie sind mit der Situation weitgehend vertraut, bevor sie sie allein bewältigen müssen.
• Sie finden in der neuen Situation Personen, die sie unterstützen, wertschätzen, willkommen heißen und ihre Fähigkeiten und Bedürfnisse wahrnehmen.
• Sie haben zu mindestens einer erwachsenen Bezugsperson in der neuen Institution eine verlässliche und vertrauensvolle Beziehung.
• Sie finden Herausforderungen, die sie gern meistern wollen, und sehen für sich neue Entwicklungschancen.
• Sie können unangenehme Gefühle, Ängste, Stress oder Überforderung äußern und finden Verständnis und keine Ablehnung.
1 Wygotski 1987, S. 163
2 Stern 1994, S. 22
3 Wustmann 2004; Griebel/Niesel 2004
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 01-02/09 lesen.