Vier Monate »Auszeit« mit dem EU-Programm »Lebenslanges Lernen«
Weiße Hausgiebel und unzählige Fahrräder – abgestellt an Bahnhöfen – flitzen vor dem Zugfenster vorbei: Ich bin wieder in Holland. Die fröhliche Melodie der niederländischen Sprache löst die deutschen Dialoge Mitreisender ab. Nach sieben Stunden Zugfahrt naht der Bahnhof »Den Haag Centraal, eindbestemming«. Für vier Monate ist die Stadt am Meer im Winter 2009/2010 meine Heimat.
Die Idee
Lange hatte ich darüber nachgedacht, ein paar Monate im Ausland zu verbringen, dort zu arbeiten und an frühere Auslandserfahrungen anzuknüpfen. Ging ich bei meinen Besuchen in Frankreich, England oder den Niederlanden durch die Straßen, malte ich mir oft aus, wie es wäre, dort zu leben…
Dank meines Berliner Arbeitgebers und eines besonderen Tarifvertrags – ich bin im öffentlichen Dienst tätig – konnte ich Zeit für eine »Auszeit« ansparen. Dieses »Sparkonto« wollte ich nun nutzen, um meine Idee umzusetzen.
Doch zuvor musste Verschiedenes geklärt werden: Für meine Abwesenheit in der Familie und auf der Arbeitsstelle galt es, Regelungen zu finden, und ein Arbeitgeber im Ausland musste bereit sein, mich aufzunehmen. Natürlich brauchte ich auch eine Wohnung. Wie könnte ich diese zusätzlichen Kosten finanzieren? Außerdem: Will ich im Ausland arbeiten, muss ich die Sprache können, die dort gesprochen wird.
Im Herbst 2009 war es schließlich soweit: Ich hatte mich für die Niederlande entschieden und mit »2Samen« in Den Haag eine Organisation gefunden, die interessiert war, mich für vier Monate aufzunehmen. »2Samen«, ein Unternehmen, das in Den Haag zirka 70 Einrichtungen betreibt, in denen Kinder vom Babyalter bis zu zwölf Jahren betreut werden, gehört in dieser Stadt zu den drei größten Anbietern. Meinen Arbeitsplatz sollte ich in der Abteilung »Innovatie, pedagogie en kwaliteit« (IPK) – vergleichbar der hiesigen trägerinternen Fachberatung – des Hoofdkantoor finden. In Berlin bin ich in der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung tätig. Ich koordiniere den Fachbereich »Kindertagesbetreuung und -tagespflege« des Sozialpädagogischen Fortbildungsinstituts Berlin-Brandenburg (SFBB). Beim IKP fühlte ich mich sofort aufgehoben.
Erwartungen
Werkdagen maandag, dinsdag, donderdag: Meine Arbeitszeit beschränkte ich auf drei Tage in der Woche, denn ich wollte auch Den Haag, Amsterdam und das Meer genießen.
Was erwartete ich von meiner »Auszeit«? Was motivierte mich, in der Freizeit anderswo arbeiten zu gehen? Motor war die Neugier auf andere Länder, andere Sprachen und der Wunsch, ein Land nicht nur touristisch zu bereisen. Für die Niederlande entschied ich mich, weil ich in den 1960er Jahren als Kind viele Sommer dort verbrachte und schöne Erinnerungen daran hatte. Nun wollte ich die niederländische Gesellschaft, Politik und Kultur als Erwachsene kennenlernen.
Außerdem bestanden seit einigen Jahren – anfangs eher zufällig – Arbeitskontakte zu Amsterdam, Den Haag und anderen Städten. Mit dortigen Fachkollegen baute ich ein Netzwerk auf, in dessen Rahmen wir den Fachkräfteaustausch zwischen Berlin und den Niederlanden organisierten, der mehrfach durch das EU-Programm »Lebenslanges Lernen« finanziert wurde. Dabei lernte ich Wim van Ogtrop kennen, den Chef von »2Samen«.
Ich erwartete, dass die Möglichkeiten der Personalentwicklung, die Chancen auf Veränderung durch Fortbildung und Beratung – und damit die Einflussnahme auf den Alltag der Kinder in den Einrichtungen – bei einem Kita-Träger größer seien, als ich es in Berlin erlebe. Das SFBB ist als Landesinstitut für zwei Bundesländer zuständig und deshalb relativ weit weg von der Praxis. Oft fragten meine Kolleginnen und ich uns, ob und wie das, was wir im Kontext Fortbildung entwickeln, im pädagogischen Alltag mit Kindern wirkt.
Außerdem wollte ich »in fremde Küchen« gucken und methodisches Handwerkszeug für Weiterbildung, Beratung und Training kennen lernen, das sich auch in Berlin einsetzen lässt. Mich interessierte: Welche Erfahrungen hat »2Samen« bei der Implementierung neuer Programme, bei der Entwicklung pädagogischer Qualität und mit der Langfristigkeit von Bildungserfahrungen?
Mein niederländischer Gastgeber hingegen wollte wissen, wie wir das Berliner Bildungsprogramm in die Praxis umsetzen und wie Träger die Pädagogik in ihren Einrichtungen stärken können.
Der Start
Ist man touristisch unterwegs, erhält man nur begrenzten Einblick in ein anderes Land. Begibt man sich in die Arbeitswelt, erlebt man mit, was die Menschen im Alltag bewegt. Vier Monate erlauben schon einen guten Einblick, zumal auf der politischen und gesellschaftlichen Ebene einiges passierte: Der Mord an Theo van Gogh lag genau fünf Jahre zurück und geriet im November wieder in die öffentliche Diskussion, im März fanden Gemeinderatswahlen statt, Ende Februar stürzte die Koalition von Jan Peter Balkenende, Neuwahlen wurden erforderlich.
Und wie ging es mit der Sprache? In Berlin hatte ich Kurse belegt. Nun musste sich im Alltag bewähren, was ich mir angeeignet hatte. Die landläufige Annahme, alle Niederländer sprächen oder verstünden deutsch, traf nicht zu. Meine anfangs mühsamen Versuche, Fachgespräche zu führen, wurden jedoch positiv aufgenommen, und man half mir, wenn es mal schwierig wurde.
Finanziell konnte ich mich gut über Wasser halten: »2Samen« unterstützte mich durch die Vermittlung einer Wohnung im schönen Stadtteil Scheveningen. Außerdem bekam ich ein Stipendium des EU-Programms »Lebenslanges Lernen«, das den Mehraufwand deckte. Übrigens sind die Lebenshaltungskosten in den Niederlanden den hiesigen vergleichbar.
www.2samen.nl und www.niederlandenet.de
Sehr gute Hintergrundinformationen über die Niederlande
www.na-bibb.de
Europäische Austauschprogramme
www.pedagogenplatform.nl
Infos zum niederländischen Bildungsprogramm
www.childcareinternational.nl
Infos über internationale Aktivitäten in den Niederlanden
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 11-12/10 lesen.