Achim Kniefel stellt einen Auszug aus dem Konzept der Kita »Sonnenstaat« vor, eine Konsultationskita, die als überregionales Vorbild gilt und deren Team Partizipation mit Vorurteilsbewusstsein zu verbinden weiß:
Bei uns können die Kinder entscheiden, ob sie Messer und Gabel benutzen oder – wie die Babys – den Löffel nehmen, was allerdings gar nicht schön aussieht, Luca!
Bei uns können sie entscheiden, in welche Hand sie Gabel oder Messer nehmen, wobei es auch gut ist, wenigstens zu probieren und zu üben, wie rum es nun mal richtig ist und auch besser aussieht.
Bei uns können Kinder entscheiden, neben wem sie beim Morgenkreis sitzen. Sie entscheiden das, indem sie sich so zueinander verhalten, dass es auch beim nächsten Mal möglich ist, sie nebeneinander zu setzen. Sonst geht es eben nicht mehr, Luca und Maja!
Bei uns können die Kinder über die Gestaltung des Gartens entscheiden: beim großen Partizipations-Projekt »Wir bauen eine Traum-Hütte« und schon beim Entwerfen der Pläne für die Hütte, die dann allerdings eher sinngemäß umgesetzt werden, weil die Kinder keine Ahnung vom TÜV und von praktischen Baumarkt-Fertigbauhütten haben – aber die Geste zählt.
Selbstverständlich können die Kinder sich für das Mitbauen entscheiden, was dann aber mehr eine Sache der Vatis ist, weil die sich nun mal geschickter anstellen. Außerdem: die Verletzungsgefahr!
Bei unserem »Wir bauen eine Traum-Hütte«-Projekt können die Kinder mitentscheiden, ob sie lieber zuschauen, wenn die Vatis bauen – mit klarem Sicherheitsabstand natürlich –, oder lieber drinnen spielen, was besser ist, wenn es draußen kühl ist.
Bei uns können die Kinder entscheiden, was sie anziehen, wenn sie rausgehen – vorausgesetzt, es ist nicht zu warm, zu kalt oder zu windig, es ist nicht Winter, Sommer, Herbst oder Frühling, und es hat kein Kind einen Schnupfen.
Bei uns können die Kinder über die Gestaltung der Wände mitentscheiden, nämlich: Wollt ihr lieber schöne, ordentliche, saubere Wände oder Wände mit hässlichen Fingerabdruck-Flecken, die uns allen nicht gefallen?
Bei uns können die Kinder über die Gestaltung der Räume mitentscheiden: Sollen sie zum Beispiel so ordentlich sein wie gleich nach dem Aufräumen oder etwa so bleiben wie jetzt, wo alles hier im Bauraum herumliegt. Also: Hopp, hopp, Luca und Ben!
Bei uns können die Kinder entscheiden, was sie von den Komponenten der Mahlzeiten essen und was nicht … sofort, sondern erst nach Aufforderungen wie »Wenigstens mal probieren…« und »Guck mal, Luca, mir schmeckt das seeehr lecker…« Oder: »Iss endlich auf, Maja!«
Bei uns können die Kinder entscheiden, ob sie schlafen oder nicht, sondern stattdessen ein wenig auf den Matten im Ruheraum liegen möchten, aus Rücksicht auf die anderen Kinder natürlich leise und möglichst mit geschlossenen Augen, schon weil es im abgedunkelten Raum ohnehin nichts zu sehen gibt, und bitte ohne diese Zappelei, Luca!
Bei uns können die Kinder entscheiden, wann sie trocken und sauber werden. Unsere Aufgabe – und die der Eltern – ist es lediglich, darauf zu achten, ob Anzeichen sichtbar werden, dass die Kinder diesen Prozess selbstbestimmt beginnen möchten, so dass wir sie unterstützen können, indem wir sie an den selbst gewünschten Toilettengang erinnern. Wenn es sein muss, im Fünf-Minuten-Takt.
Bei uns können die Kinder entscheiden, wie sie ihre kindliche Sexualität entdecken. Aber bitte nicht vor den Kleinen, den Eltern, den Großen, und bitte nicht mitten im Raum und nicht dort hinten in der dunklen Ecke, wo man nicht weiß, was da abgeht. Und bitte nicht so offen, dass die Eltern nachher unangenehme Fragen stellen. Und bitte, bitte, bitte nicht heimlich.
Bei uns können die Kinder entscheiden, ob und an welchen Angeboten sie teilnehmen. Um ihre Entscheidungsfähigkeit zu unterstützen, bieten wir täglich nur ein Angebot. Wer nicht mitmachen möchte, spielt bitte im Vorraum.
Bei uns können die Kinder entscheiden, mit welchem Spielpartner sie spielen möchten. Es ist jedoch lehrreich, mal mit jemandem spielen zu müssen, mit dem man nicht gern spielt. Stimmt’s, Luca?
Bei uns können die Kinder entscheiden, ob sie täglich rausgehen möchten oder das gezwungenermaßen tun, weil die Eltern nun mal möchten, dass die Kinder jeden Tag ganz viel rausgehen möchten.
Bei uns können sich die Kinder ihre Lieblingserzieherin aussuchen. Schön ist natürlich, wenn das die Gruppenerzieherin ist, mit der die Kinder fast den ganzen Tag verbringen.
Bei uns können Kinder in der Kinderkonferenz frei ihre Meinung sagen. Apropos Meinung: In der Konferenz möchte ich dann aber auch mal meine Meinung darlegen. Schön ist natürlich, wenn die Kinder sich entscheiden, meine Meinung zu teilen.
Bei uns können Kinder entscheiden, welches Projektthema wir als nächstes wählen. Die Kinder sind der kluge Uli und der laute Jaromir mit den vielen Ideen. Sie entscheiden für die leiseren, langsameren, jüngeren Kinder mit, welche Fragen wir untersuchen und welche Themen eher nicht interessant sind.
Bei uns können die Kinder entscheiden, ob sie mitentscheiden möchten, indem sie sich für Entscheidungen entscheiden, die zu bereits entschiedenen Entscheidungen von uns Entscheiderinnen passen.
Entscheidend ist für uns: Bei uns können Kinder entscheiden, in bescheidenem Rahmen allerdings.