Schuld war der rührende Blick aus braunen Kulleraugen – waidwund und scheu –, der mich überhaupt auf diese Sache brachte. Ich hatte sie in der Kantine des Familienministeriums gesehen – und wegen ihrer Augen setzte ich mich mit meiner Kohlroulade zu ihr. Ein Gespräch entspann sich, in dem sie mir irgendwann direkt ins Gesicht sah und zögernd fragte, ob ich bereit sei, einsame junge Mütter zu begleiten, die jemanden wie mich an ihrer Seite brauchen könnten. Ich hätte genau die richtige Ausstrahlung dafür.
Längst hatte ich »Ja« und »Oh, ja!« gesagt, als sie scheibchenweise mit der Wahrheit herausrückte: Um sie selbst, obwohl mit Nachwuchs gesegnet, ginge es nicht, sondern um andere Mütter. Sie sei fest vergeben und nicht nur in dieser Hinsicht »leider« ziemlich konservativ – nämlich CDU-Mitglied. Sie habe beruflich in diesem Hause zu tun – »als, äh, Ministerin«. So kam es, dass ich Elternbegleiter wurde. Im Programm »Elternchance ist Kinderchance« des Familienministeriums.
Festgenagelt
Ob es Kristina – so hieß die junge Frau – leid tat, mir einen Korb geben zu müssen?
Eindringlich sah sie mich an, legte ihre Hand auf meinen Unterarm und erklärte: »Die meisten Eltern legen großen Wert auf gute Bildung für ihre Kinder. Sie wollen ihnen damit den Schlüssel zu einem selbstbestimmten Leben in die Hand geben.«1 Ich nickte zustimmend – welch schönes Bild!
Kristina sprach weiter, und eine Bitte schwang mit: »Viele Eltern wünschen sich dafür eine Vertrauensperson, die sie und ihre Kinder in Bildungsfragen berät und begleitet.«
Das könnte ja ich sein, schoss es mir durch den Kopf…
»Ob es um die Wissbegier der Kleinsten geht, den Übergang in die erste Betreuung außer Haus, die Entscheidung über die richtige Schule oder darum, Talente zu erkennen, aber auch Verhaltensauffälligkeiten – fast jede Mutter und jeder Vater hat Fragen.«
War das so? Ich schämte mich ein bisschen. All diese verzagten Pärchen auf den Spielplätzen waren von all diesen Fragen geplagt – und ich hatte ihnen nie geantwortet!
Kristina legte nach: »Die Elternbegleiterinnen und Elternbegleiter aus dem Bundesprogramm ›Elternchance ist Kinderchance‹ stehen den Familien künftig als Ansprechpartner in der Familienbildung zur Seite, wenn es um Fragen rund um die Bildung ihrer Kinder geht. Wir wollen Eltern stärken, denn schließlich ist die Familie für jedes Kind der erste und wichtigste Bildungsort.«
Ich nickte: »Ja, ich will Elternbegleiter sein!«
Mit Goethe? Eher nicht…
Jetzt sitze ich auf dem kleinen Mäuerchen am Kollwitzplatzspielplatz, und mein Herz schlägt bang. Wie biete ich mich Müttern und Vätern als zukünftiger Gefährte für alle familiären Notlagen an? Vielleicht so: »Mein schönes Fräulein, darf ich’s wagen, Euch meine Elternbegleitung anzutragen?« Galant, oder?
Sie sei weder auf die Anrede »Fräulein« erpicht, antwortet die junge Mutter am Buddelkastenrand. Noch spiele die Frage ihrer Schönheit eine Rolle. Überhaupt könne sie unbegleitet nach Hause gehen. Aber vorher müsse sie noch ihren latte macchiato trinken, sonst werde sie dem Klischee nicht gerecht. Ob ich sie durchlasse, will sie wissen. Immerhin sei sie Mutter! Erschrocken gebe ich den Weg aus dem Sand-Ghetto frei.
1 Wie die nachfolgenden Passagen entnommen aus: Grußwort der Ministerin in der Broschüre »Bundesprogramm ›Elternchance ist Kinderchance‹ – Als Elternbegleiterin oder Elternbegleiter aktiv und kompetent in Bildungsfragen beraten«. Berlin 2012
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 05/12 lesen.