Ein Kitajahr geht zu Ende. Ein neues beginnt. Etliche Kinder verlassen die Einrichtung, kommen zur Schule. Was bleibt, wenn sie gehen – in den Häusern und in den Herzen? Barbara Leitner begab sich auf Spurensuche in drei Einrichtungen.
»Unsere Kita ›Villa Kunterbunt‹* hat einen Ältestenrat. Dieser setzt sich aus je zwei bis drei Vorschuldkindern aller Sektionen des Hauses zusammen«, steht in einem Bericht des Trägers zur Umsetzung der Kinderrechte. Was ist denn der Ältestenrat, frage ich sieben Kinder dieser Kita, die gerade ihr Amt abgegeben haben, weil sie nun in die Schule kommen.
»Da erzählen wir, was wir machen wollen.«
Was habt ihr denn vorgeschlagen?
»Was wir uns für das Fest wünschen.«
Und was habt ihr euch gewünscht?
»Dass wir zum Martinstag ein echtes Pferd haben.«
Und hattet ihr?
»Ja, mit dem Sankt Martin darauf.«
Wo kam denn das her?
»Das besorgt uns alles Karin* (die Kita-Leiterin).«
Wie wird man denn Ältestenrat?
»Das hat Carmen* (eine Erzieherin) entschieden.«
»Wir haben Sching, schang, schong gemacht.«
»Alle wollten in den Ältestenrat.«
Wieso denn?
»Weil das Spaß macht.«
»Wir dürfen alles so erzählen, z.B. was wir essen wollen.«
»Oder trinken.«
»Und was wir spielen wollen und was bauen.«
»Zu unserem Abschlussfest wollten wir Pommes und Nuggets. Das haben wir auch gekriegt.«
Selina, Leon, Emila, zweimal Charlotte, Maximilian und Melusienne sprudeln förmlich vor Begeisterung. Sie freuen sich über die Aufmerksamkeit und mit jeder Antwort geben sie zu verstehen: Sie wollen sich zeigen und äußern, wollen gesehen werden! Ihnen über die Morgenkreise in der Gruppe hinaus mit dem Ältestenrat ein Forum zu geben, in dem sie gehört werden, ist ein Schritt zu mehr Teilhabe. »Das ist ausbaufähig. Viel wird von uns vorgegeben«, sagt die stellvertretende Leiterin. »Wir sind noch am Ausprobieren, wie man das mit der Mitbestimmung macht, wie man die Kinder nicht nur einen Vorschlag einbringen lässt, sondern auch am Prozess beteiligt.«
Drei Jahre ist es her, dass die beiden Leiterinnen auf einer Fortbildung über Kinderrechte und Beteiligung von dem Modell des Ältestenrates hörten. 2013 gründeten sie selbst solch ein Kindergremium. »Wir überlegten, wie wir die Kinder mehr darin involvieren können, wie ihr Tag aussieht«, berichtet die Leiterin. Seitdem trifft sie sich ca. einmal im Monat mit je zwei Kindern aus jeder der vier altersgemischten Großgruppen für etwa 45 Minuten zu einer Besprechung mit Keksen und Kakao. Meist sind die Köchin und der Hausmeister dabei. Essen sei jedes Mal ein Thema, heißt es. Die Kinder besprechen, was es zum Frühstück, Mittag und Vesper geben soll, unterbreiten Vorschläge. Nicht alle werden berücksichtigt.
Im Gespräch mit den Leiterinnen fällt auf: Ja, sie wollen den Kindern mit ihrer Gestaltungskraft mehr Raum geben. Klarheit allerdings, bei welchen Themen die Kinder bestimmen bzw. mitreden wollen und sollen und etwas verändern und gestalten dürfen und bei welchen Themen die Erwachsenen sie nicht fragen, sondern nur informieren wollen, besteht noch nicht. In der »Kinderstube der Demokratie« ist das der erste Schritt: Die eigene Macht als Erwachsene wahrzunehmen und bewusst zu entscheiden, bei welchen Themen den Kindern ein Stück davon abgegeben werden kann, in welchem Rahmen und wo (noch) nicht. Solch eine Klarheit ist für die Kinder notwendig und hilfreich, um sich nicht verschaukelt vorzukommen. Damit sie wissen, hier können wir uns einbringen, hier nicht.
Die »Villa Kunterbunt« wollte ich unbedingt besuchen, weil dort eine deutliche Spur des Gestaltungswillens der Kinder zu entdecken ist: Ein kleiner Hügel, mitten im Garten. Wie kam es dazu?
Ein Kind fragte im vergangenen Jahr, ob er im Ältestenrat auch mal über etwas anderes als das Essen reden könne. Der Jungen fand, der Berg im Kitagarten sei zu klein. Dieses Statement bekam Kraft und große Aufmerksamkeit. Klasse. Sein Wunsch wurde an den Hausmeister herangetragen. Der, damit konfrontiert, meinte, er könne das nicht ändern. Da müsse eine Firma ran. Bereits zuvor hatten die Kinder einmal in einem Projekt in ihrer Kita fotografiert, was kaputt war oder verändert werden sollte, quasi als Auftrag für den Handwerker: die Sitzbank um einen Baum, der Weidentunnel im Garten, die Einfassung des Sandkastens. Auch da wurden die Kinderwünsche an einen Erwachsenen delegiert. Was geschah diesmal? Offensichtlich schlossen sich mehrere Kinder der Meinung des Jungen an. Sie malten auf, wie sie sich den Berg vorstellten: Unbedingt müsse eine Röhre mitten durch den Berg gehen, in der sie stehen könnten. Und sie wollten im Winter rodeln können. Und dann?
»Dann haben wir ein Angebot eingeholt«, berichtet die Leiterin und wir, das hieß in diesem Fall sie, ohne die Kinder.
Und weiter?
»Wir haben auf Geld aus dem Fonds für neues Spielzeug verzichtet und beim Träger eine Umwidmung der Gelder beantragt. An Spielzeug haben wir keine Not.«
Wer hat das entschieden?
»Ich«, so ihre Antwort.
Als würde sie dadurch aufgeweckt, wird der Stellvertreterin bewusst: Wir haben die Kinder nicht in den Ausgestaltungsprozess einbezogen! Wie viel sie hätten lernen können: Über Zahlen und Preise, über Zuständigkeiten, über Verhandlungen und Entscheidungen. »Zu dem Zeitpunkt waren wir noch nicht so weit. Das war unser Start.«
Kinder als Gestalter ihres Lebens
ErzieherInnen »orientieren sich in ihrem pädagogischen Handeln an einem Bild vom Kind, das von sich aus neugierig und mit allen Sinnen bestrebt ist, sich eigenständig die Welt zu erschließen und sie aktiv mitzugestalten«, heißt es im Berliner Bildungsprogramm und ähnlich auch in den Bildungsprogrammen der anderen Länder. »Sie grenzen sich ab von vorgedachten, vorgeplanten, aus dem Sinnzusammenhang gerissenen Beschäftigungsangeboten, bei denen der Ablauf und das Ergebnis schon vorher feststehen.« Vielmehr sollen sich die Kinder immer wieder als aktive Lerner erleben, die ihren eigenen Themen nachgehen, sich, ihre Gruppe und die Welt um sich herum begreifen. Sie sollen die Gelegenheit bekommen, aus dem Vorhandenen etwas Eigenes, Neues zu schaffen und erkennen: Ich bin Gestalter meines Lebens. Die Welt ist veränderbar. Ich habe Einfluss, kann entscheiden, wie ich meine Kraft und Kreativität einsetze.
Welche Spuren sind erkennbar, wenn ein Kind, eine Kindergruppe nach drei, vier, fünf, manchmal sechs Jahren die Kita verlässt? Wenn die Einrichtung – hoffentlich – in der Sommerpause um- und leergeräumt wird und Platz gemacht wird für manchmal 30, 35 neue Gestalter?
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 08-09/15 lesen.