Über die Hürden einer Betriebsratsgründung
In Leipzig haben sich letztes Jahr mehrere soziale Einrichtungen gegen die schlechten Arbeitsbedingungen der Sozialwerk Leipzig gGmbH gewehrt. Mit Betrifft KINDER teilen sie ihre eindrücklichen Erfahrungen und berichten, wie sie mit ihrem Zusammenhalt enorme Widerstände überwunden haben. Unsere Redakteurin Emilia Miguez hat es aufgeschrieben.
Es ist laut in der Leipziger Szene-Kneipe. Alle Tische sind besetzt, es wird gelacht, getrunken und diskutiert. Mehrere Eltern und ErzieherInnen sitzen an einem großen Tisch zusammen, um die Geschehnisse der letzten Monate zu reflektieren. Sie haben erlebt, was es bedeutet, wenn ein Träger auf einmal alle Angestellten seiner Einrichtungen von heute auf morgen kündigt, die Fachkräfte auf die Straße setzt und mit ihnen die Kinder und Eltern im Stich gelassen werden. Selbst der Kneipenlärm schafft es nicht, ihre Empörung über das Geschehene einzudämmen. Sie möchten ihre Geschichte, die sich wie ein schlechter Krimi liest, in die Welt tragen.
Es beginnt wie in vielen sozialen Betrieben: Die MitarbeiterInnen sind unzufrieden, weil sie unzureichend bezahlt werden, sich mehr Mitbestimmung, Transparenz und eine Kommunikation auf Augenhöhe wünschen. Sie fordern bessere Arbeitsbedingungen für alle. Um dafür einen offiziellen Rahmen zu schaffen, beschließt die Kita Biedermannstraße 2012 einen Betriebsrat zu gründen. Die Regionalleitung des Internationalen Bildungs- und Sozialwerks (Int BW) schlägt daraufhin vor, alternativ eine Mitarbeitervertretung einzurichten, die jedoch für die ArbeitnehmerInnen weder ausreichend Mitbestimmung noch Verbindlichkeiten zulässt. Die ErzieherInnen verfassen aus ihrer Unzufriedenheit heraus 2016 einen Brief an die Geschäftsleitung, in dem sie ihre Kritik formulieren. Als daraufhin wieder keine befriedigende Reaktion kommt, beschließen sie zu den vier anderen Leipziger Einrichtungen des Trägers Kontakt aufzunehmen. Die Autismusambulanz, der Bauernhofkindergarten Mölkau, die Kita Familiengarten und die Tagespflege des Sozialwerks haben sich daraufhin mit der Kita Biedermannstraße zusammengetan. Im Austausch miteinander wird deutlich: nicht für alle Angestellten gelten die gleichen Konditionen, vor allem die Bezahlung ist sehr unterschiedlich. Sie sind sich einig, dass sie das nicht länger hinnehmen wollen. Außerdem wird klar, dass sie einen Betriebsrat mit gesetzlich festgelegten Rechten und Pflichten für ihre Anliegen brauchen. Die Konfliktspirale beginnt sich daraufhin zu drehen.
Es kommt während der Jahre zu vielen Ereignissen, die krimireif sind. So erinnern sich die ErzieherInnen, wie die Regionalleitung sie aus dem Auto heraus mit einem Fernglas beobachtete, als sie für die Wahlvorstandsgründung die Leipziger GEW Geschäftsstelle betraten. Die Geschäftsführung weigerte sich auch wichtige Daten herauszugeben, die für die Vorbereitung der Vorstandswahl elementar waren und beantwortete viele E-Mails mit Nachfragen nicht. Immer wieder wird die Wahl vom Arbeitgeber boykottiert, es scheint ihn nicht zu interessieren, dass dies strafbar ist.
Ronny arbeitet seit vielen Jahren in der Autismusambulanz des Sozialwerks. Als einer der Hauptinitiatoren des Betriebsrat erinnert er sich gut an seine Motiviation: »Eigentlich wollten wir gar keinen Gegenpol zur Geschäftsführung bilden, wir wollten einfach mit ihr in den Dialog treten. Unser Ziel war, dass wir gemeinsam was erreichen, zusammen mit der Leitung was voranbringen. Der Hauptgeschäftsführer hat jedoch schnell von uns als Gegnern gesprochen. Wir wurden sogar als Bombenleger bezeichnet. Das hat natürlich dazu geführt, dass sich die Situation zu einer kontraproduktiven Spirale entwickelt hat.« Er und die anderen MitarbeiterInnen konnten kaum fassen, was sie unabsichtlich losgetreten hatten.
Die Zerreißprobe
Die ArbeitnehmerInnen ließen sich trotz der vielen Schwierigkeiten nicht von der Betriebsratswahl abbringen, woraufhin die Geschäftsleitung nicht zögerte, im Januar 2018 die erste Kündigung vorzunehmen. Die fadenscheinige Begründung konnte nicht kaschieren, dass es ihr darum ging, eine Hauptini-tiatorin aus dem Weg zu räumen. Das führte unter einigen KollegInnen zu Panik, sie hatten Angst ihren Arbeitsplatz, die liebgewonnen KolllegInnen, Kinder und Eltern zu verlieren. Die Geschäftsleitung versuchte die MitarbeiterInnen auseinanderzubringen, indem sie kommunizierte, dass der Betriebsrat Schuld sei, wenn das Sozialwerk schließen müsse. »Die Stimmung drohte zu kippen, weil von der Leitungsebene immer wieder die Loyalitätsfrage im Raum stand: Wer ist auf welcher Seite?«, führt Ronny seine Erfahrungen aus.
In dieser Krise taten die pädagogischen Fachkräfte das, was sie am besten können: Beziehungsarbeit leisten. Dank Kommunikation, Empathie und Solidarität ließen sie ihren Zusammenhalt nicht spalten. Sie trafen sich fast wöchentlich mit 30 bis 40 MitarbeiterInnen und tauschten sich darüber aus, wie es jedem und jeder geht und welche neue Informationen es gab. Es wurde offen und transparent miteinander gesprochen. Ebenso gab es Verständnis für diejenigen, die sich aufgrund befristeter Arbeitsverträge ohne Kündigungsschutz zurückhielten. »Die abendlichen Treffen fanden nun öfter statt. Es stand die Frage im Raum, ob wir das noch weiter durchziehen wollen. Es wurden Plädoyers gehalten, und ich hatte manchmal Gänsehaut«, erinnert sich Susan, die seit vier Jahren in der Kita Biedermannstraße arbeitet und sich für die Wahl zum Betriebsrat aufstellen ließ. »Die Vertrauensfrage war für uns wichtig, sonst hätten wir nicht weitergemacht. Als Anfang Mai dann endlich die Betriebsratswahl durchgeführt wurde, haben sich 80 Prozent an der Wahl beteiligt, das hat uns stark motiviert!«, ergänzt Ronny die Erinnerungen an diese Zeit.
Auf diesen Erfolg folgt nur kurze Zeit später eine Kündigungswelle des Trägers, für fast 100 MitarbeiterInnen sollte Ende Juli 2018 Schluss sein. Das Sozialwerk will alle Einrichtungen in Leipzig dicht machen und sie verkaufen, hieß es. Für die Überbringung der Kündigungen lauerte die Regionalleitung den EmpfängerInnen während der Arbeit persönlich auf, sie sollten den Empfang quittieren. Es wurde deutlich, dass die Geschäftsführung es eilig hatte. Sie spekulierte auf die juristische Unkenntnis der MitarbeiterInnen und setzte auf Einschüchterung, doch die ArbeitnehmerInnen waren gut informiert: »Wir haben uns immer vorher mit der Gewerkschaft und unserem Anwalt abgesprochen. Vor allem hatten wir das Glück, dass uns Jana Rüger von der GEW sehr unterstützt hat. Auch sie hatte nicht geahnt, was sich da für Abgründe auftun und musste feststellen, dass die so etwas in 25 Jahren Gewerkschaftsarbeit noch nicht erlebt hatte«, berichtet Susan, die sich sicher ist, dass die Geschäftsführung des Sozialwerks alles andere als soziale Interessen vertreten hat. Die Vermutung ist nicht unbegründet, liegen doch die Immobilien der Autismusambulanz und der Kita Biedermannstraße in den für den Immmobilienmarkt lukrativsten Stadtteilen von Leipzig.
Augenscheinlich waren auch die Verquickungen von Familie und Betrieb. Der Hauptgesellschafter Heinrich Schnaatmann beschäftigt nicht nur seinen Sohn als Anwalt, auch sein Schwiegersohn Thomas Wiesemann war lange Zeit als Geschäftsführer tätig. Der ganze Betrieb scheint somit unantastbar. Das zeigt sich vor allem auch als versucht wird, die Stadt in den Konflikt zwischen Träger und ArbeitnehmerInnen einzubeziehen. Denn auch die Behörden stehen der Geschäftsführung des Sozialwerk hilflos gegenüber, hatte sie doch das Grundstück ohne Vorverkaufsrecht an den Trägerverein abgegeben. Die Stadt saß am Ende nur mit am Tisch um zwischen Sozialwerk und dem neuen Träger für die Übernahme der gekündigten Einrichtungen zu vermitteln.
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 01-02/19 lesen.