Ein Beitrag zur pädagogischen Prävention
Eine (Lern-)Umgebung zu schaffen, die dem leidenschaftlichen Tatendrang aller Kinder gerecht wird und gleichzeitig die Lerndynamik jedes einzelnen Kindes unterstützt, ist gar nicht so einfach. Das gilt auch für die Ausbildung des Instruments »Körper«. Gerburg Fuchs gibt Impulse, um in der beziehungsorientierten Arbeit die feinen Unterschiede zu erkennen, und lädt zum Nachdenken darüber ein, ob das Prävention ist.
»Wir sind die guten Bäcker, bei uns ist es immer lecker!«, ruft Nicki aus der Bäckerei »Schubidu«. »Als ich 2005 in die ›Aktive Kinderwerkstatt‹ kam«, schreibt eine Studentin, »fand ich mich tatsächlich in einer Werkstatt wieder. Nicht nur im übertragenen Sinne, auch ganz real stand ich vor einer Werkbank mit Schraubstock, einer Werkzeugwand und Unmengen verschiedenster Rohmaterialien. Von Holz bis Tesa-Krepp war einfach alles vorhanden. Die Kinder sind mitten drin bei allem, was passiert. Sie hocken auf der Werkbank, hämmern, sägen, kleben oder malen. Beim Zubereiten der Mahlzeiten waren sie genauso aktiv beteiligt wie in der Werkstatt. Sie mahlen Körner fürs Frühstücksmüsli oder sie backen Kuchen für das Geburtstagskind.«
Verbindungen schaffen
Kindertagesstätten eignen sich in besonderer Weise zur Gesundheitsförderung, weil Kinder hier in ihren Erlebnis- und Verhaltensweisen entscheidend beeinflusst und geprägt werden können. Die Aktive Kinderwerkstatt (1994–2007) war ein Ort für Kinder, die einen Nachholbedarf in ihrem Reifungsprozess hatten und in Regeleinrichtungen nicht Fuß fassen konnten. Pädagogik, Kunst und Therapie wurden als eine ineinander wirkende Einheit verbunden. Diese Einheit bildete die Grundlage für den alltäglichen Schaffensprozess mit den Kindern und charakterisierte in besonderer Weise die Arbeit des Pilotprojekts. Seine pädagogischen Prinzipien sind: Wir unterscheiden nicht zwischen normal, gehinderten und behinderten Kindern, sondern wir haben uns für den Menschen als Ganzes entschieden. Im Mittelpunkt steht die Persönlichkeit des einzelnen Kindes. Ein Störenfried wird nicht als Störenfried wahrgenommen, sondern als ein Mensch, der uns auf besondere Art und Weise seine Bedürfnisse mitteilt. Im Rahmen pädagogischer Prävention wird jedes Kind nach dem Leitsatz »nicht Bewegungen lernen, sondern sich bewegen lernen« der Reformpädagogin Dore Jacobs (1894–1979) unterstützt. Gesundheitsförderung und Prävention sind demnach nicht als isolierte Zusatzaufgabe zu begreifen, sondern sie sind ein integraler Bestandteil des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Kita.
Wie können wir die Selbständigkeit der Kinder unterstützen? Wie schaffen wir eine Verbindung zu dem einzelnen Kind – zwischen dem, was in ihm an Potenzial schlummert, und dem, was außen geschieht?
Sehen, was ist
In pädagogischen Fachkreisen wird wenig darüber gesprochen, dass Pädagogik viel mit Risiko, mit Experiment zu tun hat, und wie wichtig es ist, sich selbst und den Kindern experimentelle Prozesse zu ermöglichen. Wenn wir beziehungsorientiert arbeiten wollen, können wir nicht davon ausgehen, dass Pädagogik immer etwas mit einem fertigen Konzept zu tun hat. Unser präventives Handeln orientiert sich an den unterschiedlichen Bedürfnissen der Kinder. Diese gilt es unmittelbar zu beantworten. Es geht darum, den Kindern ihre Interessen abzulauschen und zu sehen, was ist.
Voraussetzungen dafür sind die Schaffung gesundheitsförderlicher Strukturen sowie sinnvolle Aufgaben. Kinder wollen sich aktiv am Alltagsgeschehen beteiligen. Zum Beispiel weckt das gemeinsame Kuchenbacken Freude daran, selbst Akteur zu sein. Kochen, Backen oder Handwerken helfen Kindern, individuelle Potenziale zu entfalten, wie auch, ihnen jene Werte und Ordnungen zu nahebringen, die eine Lerngemeinschaft tragen. Diese Tätigkeiten vermitteln, was heute im Schwinden ist, das Leben und das Lernen, wie man lernt.
Nach welchem Drehbuch arbeiten Kinder? Wer führt Regie? In der Rolle der Erziehenden dienen wir den Kindern als Vorbild. In der Aktiven Kinderwerkstatt konnten sie jeden Montag sehen und miterleben, wie Schritt für Schritt aus einzelnen Zutaten ein Brotteig entsteht, aus dem sie Brötchen fürs Frühstück formten. Sie konnten Körner abwiegen, sehen, wie das Mehl aus der Getreidemühle in die Schüssel rieselt, Teig kneten oder einfach zuschauen. Bei ihren eigenen Backexperimenten diente ich ihnen als Assistentin. Der Rollenwechsel bewirkte Anerkennung, Vertrauen in ihre Fähigkeiten und das Ernstnehmen ihrer Bedürfnisse. Jetzt waren die Kinder die Bäcker, und wie Nicki sagte, war es »bei ihnen immer lecker«. Sie zeigten, was sie konnten, wie sie Konflikte lösten und miteinander kommunizierten. Ihr schlummerndes Potenzial wurde durch die anderen Kinder hervorgelockt.
Lernen findet nur in Beziehungsräumen statt, die sich durch Wiederholungen und Dialog entfalten. Beim Backen gibt es keine Regeln im eigentlichen Sinne. Wie wir auf den Bildern sehen, sind Peter, Hans und Susi in gewisser Weise auf das Urteil des anderen angewiesen, wie wir auch. Im Tun entwickeln die Kinder ein Gespür für Handlungsabläufe und dafür, wer sie selbst eigentlich sind. Arbeitsrituale schaffen soziale Räume, in denen Kinder Zugehörigkeit und Zusammenhalt erfahren. Dabei verstärkt sich ein ganz wesentlicher Teil der Persönlichkeitsentwicklung. Sie spüren, dass ihr Bedürfnis, ihre Meinung von anderen geachtet wird, und erfahren Resonanz. Diese Zeit ist für beide Seiten, Erziehende und Kinder, kostbar. Lauschen und Lernen ist eine Kunst, bei der Gefühl und Verstand auf natürliche Weise zusammenwirken.
Gerburg Fuchs, Blickschule, Berlin. Bewegungspädagogin, freiberufliche Dozentin mit den Schwerpunkten Bewegung, freies Spiel und Kinderrechte. Filmemacherin: »Lass mich spielen« (2013), »Risiko und Prävention» (2014), »In Bewegung. Über die Bewegungsarbeit von Elfriede Hengstenberg« (2019, in Kooperation mit Niels Bolbrinker). Gründerin der »Aktive Kinderwerkstatt gGmbH« (1994–2007).
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Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 11-12/19 lesen.