Ästhetisches Lernen in einer KinderKunstMusik-Werkstatt · Teil 2
Was geschieht, wenn künstlerisches und musikalisches Lernen in der Schuleingangsstufe nicht von LehrerInnen, sondern von zwei Personen angeleitet wird, die diese Künste verkörpern? Wie Klecks und Klang – alias Kunst und Musik – zwanzig Kinder auf eine Reise in die Welt der Künste mitnehmen, schildern die hier in Folge veröffentlichten Berichte. So erfuhren wir im letzten Beitrag, wie die Kinder auf akustische und bildhafte Weise Kontakt zu Klecks und Klang aufgenommen haben. Nun können wir gespannt sein, wie sich die Kinder die Gestalt von Klecks vorstellen, ob sie Kartons als Musikinstrumente nutzen können und wann Klecks und Klang leibhaftig erscheinen.
Es geht weiter!
»Hallo Kinder, wir fangen an! Schaut mal her, das sind Klecks und Klang! Sie wohnen in Häusern, die sind ganz schön groß. Wir fragen uns nun, was machen sie da bloß?« Singend stimmt Musikstudentin Julia die erste Strophe des selbstgeschriebenen Klecks- und Klang-Liedes an, nachdem sich die SchülerInnen der Montessori-Grundschule bei unserem zweiten Treffen im Halbkreis auf Sitzkissen niedergelassen haben. Alle fallen ein und erinnern anhand begleitender Körpergesten bei »schauen«, »Häusern«, »groß« und »fragen« den Text des Liedes. Beim Singen wandern die Blicke der Kinder immer wieder hinüber zu den beiden übergroßen Kartons, die seit letzter Woche dort scheinbar unverändert stehen. Es handelt sich um die Behausungen von Klecks und Klang, den Adressaten des Gesangs, mit denen die Kinder bisher zwar akustisch kommuniziert, die sie optisch jedoch noch nicht zu Gesicht bekommen haben. Immerhin weiß Klecks jetzt schon, wie die SchülerInnen aussehen, hatten diese ihm doch gezeichnete Selbstdarstellungen durch den Schlitz seiner Behausung geschoben.
»Rean hat einen schwarz-weiß gestreiften Pullover und Rebecca trägt eine rote Schleife im Haar«, flüstert es aus dem rechten Karton. Sina, die Kunststudentin, die direkt daneben steht, gibt die Botschaften von Klecks an die Kinder weiter. Dieser weiß noch mehr zu berichten: »Es gibt zwei Mädchen mit langen blonden Zöpfen. Auch Aurel ist blond und lacht so freundlich. Auf Fionas T-Shirt habe ich einen Katzenkopf entdeckt und auf Sarias viele bunte Kreise auf schwarzem Grund. Constantin, der von der Seite zu sehen ist und geradewegs aus dem Bild herauszulaufen scheint, hat sogar seine Schnürsenkel gezeichnet.« Julia schaltet sich ein: »Ihr habt Euch alle so treffend dargestellt, dass Klecks meint, eure Klasse schon ein wenig zu kennen. Auch Klang wollte sich die Blätter immer wieder anschauen.«
Nach dieser Würdigung der Zeichnungen durch Klecks, der über Benennen individueller Merkmale erste Beziehungen knüpft und vor allem zeigt, dass er genau hingeschaut hat, warten weitere musikalische und gestalterische Aktivitäten auf die Kinder. Ein Teil der Klasse wird im Atelier erwartet. Hier wurden bereits Staffeleien bereitgestellt. Der andere Teil geht mit den Musikstudierenden in den Musikraum. Ob sich Klecks und Klang wohl heute zeigen werden?
Ein Bild von Klecks
Die Kinder der ersten Gruppe eilen aufgeregt mit Sina und Lisa zum Atelier. Nanu? Was steht denn da vor der Tür? Lara wirft einen Blick in die Kiste, die ihnen den Weg versperrt. »Da drin sind Kittel!«, ruft sie und zupft direkt einen heraus. »Die hat bestimmt Klecks für euch zurechtgelegt, denn er benutzt auch Malhemden«, erklärt Sina. Und so zieht jedes Kind einen Kittel über, bevor sich die Tür zum Atelier öffnet. Einige flitzen gleich zu den im Raum verteilten Staffeleien. »Hier male ich!«, ruft Aurel, während Greta sich bereits einen Pinsel geschnappt hat: »Und hier ich!« Eine Atmosphäre aufgeregter Vorfreude breitet sich aus. Doch zunächst kommen alle wieder zusammen, denn die beiden Kunststudierenden wollen das weitere Vorgehen mit ihnen besprechen.
Nachdem die SchülerInnen in der letzten Woche mit Farbstiften auf A4-Format gezeichnet haben, sind sie nun aufgefordert, ein großformatiges Bild von Klecks zu gestalten. Wie stellen sie sich die noch unbekannte Gestalt vor, die in einem Karton wohnt und offenbar ein Künstler oder eine Künstlerin ist? In der Runde wird es allmählich ruhig. Sina ergreift das Wort: »Klecks hat mir gestern gesagt, er weiß ja jetzt, wie ihr ausseht, aber er würde gerne erfahren, wie ihr euch vorstellt, dass er aussieht!« »Was?!«, ruft Leonhard. »Aber wir wissen doch gar nicht, wie Klecks aussieht!« Nun wird es lauter im Atelier, denn die Kinder beginnen miteinander zu diskutieren. Greta greift sich den Pinsel, der neben ihr auf dem Boden liegt. Sie würde am liebsten gleich loslegen. Damit auch die anderen eine Vorstellung entwickeln können, sammelt Sina zunächst Ideen aus der Runde: »Der malt gerne!«, bringt Lara ein. Die anderen nicken. »Weil er Klecks heißt!«, erklärt Rean. Nach und nach werden Merkmale zusammengetragen, die der Imagination aller auf die Sprünge helfen: dass Klecks ein Malhemd bei der Arbeit trägt und offenbar schüchtern ist, wissen die Kinder bereits. Wo-ran aber wird erkennbar, dass er ein Künstler oder eine Künstlerin ist? Was tut er den ganzen Tag? Lisa verweist auf den Pappteller mit Farben in der Mitte des Sitzkreises.
Zaubernde Farben
»Ich sehe hier auf der einen Seite der Palette eins, zwei, drei, vier Farben und auf der anderen schwarz und weiß«, beginnt sie und hält den weißen Pappteller so, dass ihn alle gut sehen können. Dann erklärt sie weiter: »Und ich kenne einen Trick, wie man aus den sechs Farben viele andere hervorbringen kann! Ich kann nämlich mit Farben zaubern!« Die Kinder blicken sie mit großen Augen an. Zaubern mit Farben? »Ganz genau! Klecks ist Meister darin und rät euch, es auch auszuprobieren«, erklärt Sina. Der Einstieg in das Thema Farbenmischen und eine kurze Erklärung zur Handhabung von Pinsel, Lappen und Palette werden von den Studierenden spielerisch-erkundend vermittelt. Problem- und handlungsorientiert geht es mit der Frage weiter, wie denn nun ein Orange hergezaubert werden kann und zügig kommt von Lara der Vorschlag, die Farben Rot und Gelb mit Weiß zu verrühren. Lisa greift ihn auf und nutzt den Platz zwischen den Farben, um mit dem Pinsel vorsichtig erst etwas von der gelben, dann von der roten Farbe zu vermischen und zaubert damit ein leuchtendes Orange hervor. »Immer mit der helleren Farbe beginnen«, rät sie, »von den dunklen braucht ihr viel weniger.« Und den Pinsel auswaschen und am Lappen trockentupfen, bevor ihr eine andere Farbe benutzt. Sie macht es vor. Was geschieht, wenn orange und weiß gemischt werden?
»Darf ich auch mal zaubern?«, fragt Zoe, die bisher still zwischen den Anderen gesessen hatte. Sie bekommt einen Pinsel in die Hand, tupft ihn erst in die weiße und dann in die blaue Farbe und mischt dazwischen ein Hellblau. Langsam kribbelt es allen in den Fingern. Greta und Leonhard rutschen ungeduldig auf ihrem Platz hin und her. Mit einer ersten Vorstellung im Kopf und angetrieben von der Lust aufs Farbenzaubern suchen sich die Kinder nun eine Staffelei. Darauf steht ein Malbrett bereit, auf dem ein großformatiges Papier mit Kreppband befestigt ist. Wie wird Klecks, die bisher im Karton verborgene Figur, auf den Bildern der Kinder Gestalt annehmen? Welche Vorstellungen werden sie zu Papier bringen?
Yasmin Götza ist Masterstudentin des Grundschullehramts mit dem Schwerpunkt Kunstpädagogik an der Universität Bielefeld. Zuvor war sie als freie Kunstvermittlerin und später als wissenschaftliche Volontärin im Bereich der Museumspädagogik im Marta Museum Herford tätig.
Petra Kathke, Professorin für Kunstpädagogik an der Universität Bielefeld, promovierte 1995 in Kunstgeschichte und ist seither v.a. in der LehrerInnenbildung tätig. Aus ihrer kunstpädagogischen Werkstattarbeit ging das Buch »Sinn und Eigensinn des Materials« hervor. Arbeits- und Forschungsschwerpunkten sind Theorie und Praxis künstlerischen Lernens und Lehrens sowie die ästhetische Fundierung künstlerischer Bildungsprozesse in Schule und Hochschule.
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Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03-04/2020 lesen.