Kinder entdecken Natur- und Lebensräume
Ein achtsamer Umgang in und mit der Natur und den kleinsten sichtbaren Lebewesen, den Käfern, Schnecken, Würmern und Insekten, bietet Kindern viele Möglichkeiten, Beobachtungen zu machen und ein Verantwortungsgefühl für unsere Umwelt zu entwickeln. Von Erfahrungen bei der Umsetzung im U3-Bereich, natürliche Lebensräume zu entdecken und neue zu schaffen, berichtet Julia Schmitt aus ihrer Tagespflegeeinrichtung »Kinderlinge« im rheinland-pfälzischen Bendorf.
Mit den Worten »Summ, summ, da!«, macht Leo begeistert auf eine Biene aufmerksam, die sich direkt vor seinen Augen auf eine leuchtend gelbe Blüte setzt. Er bleibt neugierig stehen, um seine Entdeckung zu betrachten. »Belb!« Freudig ruft er mir und den beiden anderen Krippenkindern die Blütenfarbe entgegen, die er wiedererkennt. Jetzt wollen alle die Biene sehen und bemerken, dass sie gelbe Härchen und Streifen hat. Mit Schmatzgeräuschen erklären mir die drei, dass die Biene – eine der unzähligen krabbelnden und fliegenden Lebewesen in der Wildblumenwiese, durch die wir uns heute bewegen – gerade Nahrung aufnimmt. Auch unsere Plüschbiene Summi, die uns oft nach draußen begleitet, wird eifrig an Blumen gehalten und so von den Kindern gefüttert. Für mich ist das Draußensein mit meinen Krippenkindern elementar und einer der schönsten Momente, wenn ein Kind mit Leichtigkeit einfach so in eine Blumenwiese hineinrennt, nur noch die Haare sichtbar sind und es laut lacht vor Glück!
Lachen vor Glück
Um mich ihnen auch inmitten der Natur bestmöglich widmen zu können, halte ich die Gruppengröße mit drei U3-Kindern statt der erlaubten fünf bewusst klein. An ihren Wünschen orientiert, verbringen wir die meisten unserer Vormittage in unmittelbarer Nähe zu Fuß oder maximal zehn Autominuten von meiner Tagespflegeeinrichtung entfernt im Wald, am Bach oder auf Wiesen. Die Diversität der Orte bietet unendlich viele Möglichkeiten, Zeit in der Natur zu verbringen. Seichte Bachläufe im Wald und Rinnsale in Wiesen laden zu sensorischen Erlebnissen mit Wasser und seinen kleinen Be- und Anwohner:innen, wie Kröten und Kaulquappen, ein. An heißen Tagen halten wir uns besonders gern unter großen Bäumen und dunklen Tannen auf, wo auch zahlreiche Tiere den kühlenden Schatten zu genießen scheinen. Alles Lebendige atmet hier auf, und selbst die kleinsten Wesen sind in Bewegung.
Zu Fuß erreichen wir von unserer Einrichtung aus auch ein großes Feld. Besonders wenn hier der Mais angebaut wird, ist es für die Kinder ein ähnlich magischer Ort wie die Blumenwiese. Hier lässt sich wunderbar Verstecken spielen und ab und zu auch das eine oder andere kleine Mäuschen beobachten. Spinnen seilen sich über unseren Köpfen ab oder sitzen in ihren üppig mit Fliegen behangenen Netzen. Wenn am Morgen feine Wassertropfen an Blättern, Spinnenfäden und Halmen hängen, funkelt es um uns herum so schön, dass die Kinder ganz leise werden und sich umsehen, als wären sie gerade in eine völlig andere Welt eingetreten.
Gute Nachbarschaft
Wenn es regnet, gehen wir besonders gern auf Entdeckungstour durch einen dichtbewachsenen Waldbereich mit schmalen Pfaden. Regenwetter lockt eine große Zahl kleiner Tiere hervor, die Kinder ganz besonders interessant finden. Doch auch der schlammige Boden animiert zum Reingreifen mit den Fingern oder dazu, mit den Gummistiefeln schmatzende Geräusche im Matsch zu erzeugen. Die Ruhe, die ein Wald vermittelt, wenn Regentropfen auf Blätterdächer und Sträucher prasseln, ist nicht nur für Erwachsene Erholung pur. Auch für kleine Kinder ist es eine Gelegenheit, Anspannungen zu lösen und Energie zu tanken. Manchmal sitzen wir dann beisammen und hören einfach nur zu. Der Regen sorgt dafür, dass jeder kleine Wirbelwind mal rastet.
Wie immer kommt es uns darauf an, Erfahrungen statt Strecke zu machen. Und tatsächlich entdecken wir schon wenig später auf dem Weg durch Moose und Farne, die hier in rauen Mengen wachsen, einen entwurzelten Baum, an dem die Kinder allerhand entdecken. Wie in einem Mehrfamilienhaus finden sie auf mehreren Etagen bis zum Keller, also der Erde, kleine und kleinste wilde Tiere, die hier in offensichtlich guter Nachbarschaft zusammenleben. Wie aufregend es ist, in so manchen Eingang hineinzusehen. »Eins Necke!«, ruft die 20 Monate alte Mia voller Glück. Sie hat eine kleine orange Nacktschnecke entdeckt. Vorsichtig berührt sie mit dem Zeigefinger deren Rücken, um zu spüren, wie sie sich anfühlt. Erschrocken zieht Mia ihren Finger wieder zurück, als sie erkennt, dass die Schnecke den Kopf einzieht. »Angst«, sagt Mia sehr leise. Ihrer Haltung entnehme ich, dass sie vom Gefühl der Schnecke spricht. Dies ist ein guter Moment, mit den Kindern zu besprechen, wie wir mit Tieren umgehen wollen. Die Natur und ihre Bewohner:innen bieten uns auf diese Weise immer wieder Gelegenheiten, auch Gefühle wahrzunehmen und aufzugreifen.
Julia Schmitt ist Fachkraft für Kleinkindpädagogik und selbstständige Tagespflegeperson. Dass sie auch examinierte Ergotherapeutin und psychologische Beraterin ist, fließt in ihre tägliche Arbeit mit den Kindern ein.
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Diesen Beitrag können Sie vollständig neben weiteren interessanten Beiträgen in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 07-08/2023 lesen.