Kind und Natur
Im Jahr 2019 ist es wichtiger denn je, die Themen Natur und Kindheit, verbunden mit der Frage nach einer nachhaltigen Entwicklung in Europa, auf die Tagesordnung zu setzen. Obwohl Natur schon immer zum pädagogischen Denken von Rousseau, Montessori, Steiner, Freinet, Lóczy und vielen anderen gehört hat, stehen wir heute vor neuen Herausforderungen: Welche Auswirkungen haben der Klimawandel, der Verlust von Artenvielfalt und natürlichen Lebensräumen und weitere Folgen der Umweltverschmutzung auf unsere pädagogischen Werte und Praktiken?
Als Eltern, PolitikerInnen, ErzieherInnen, WissenschaftlerInnen und BürgerInnen einer globalisierten Welt kämpfen wir für eine nachhaltige Entwicklung, die zukünftigen Generationen zugutekommt. Es herrscht ein großer Bedarf am Erfahrungsaustausch hinsichtlich konkreter Praktiken im Alltag mit Kindern – und gleichzeitig an globalen Perspektiven in der pädagogischen Bildung. Aspekte der konkreten Arbeit am Kind müssen ebenso Teil der Debatte sein wie Fragen der pädagogischen Theorie. Wir brauchen beides gleichermaßen, um die frühkindliche Betreuung und Bildung weiter zu entwickeln.
Für diese Ausgabe hat KINDER in Europa heute neun AutorInnen bzw. AutorInnenkollektive eingeladen, ihre Praktiken, Beobachtungen und Ideen vorzustellen. Zuerst blicken wir mit Bernadette Moussay auf die Verflechtungen zwischen den Themen Kindheit und Natur, wie sie der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau in seinem einflussreichen Werk Émile oder Über die Erziehung behandelt. Dann wechseln wir zu einem Erfahrungsbericht der Kindertagesstätte Valldaura in Barcelona, die im Miteinander zwischen PädagogInnen, Eltern und Kindern eine Entwicklung hin zur Nachhaltigkeit einschlägt. Sarah Wauqiuez berichtet über eine Vorschule in der Schweiz, wo sie in einer Outdoor-Lernumgebung Mathematik, Lesen und Schreiben unterrichtet. Von der Kita-Pädagogik in Haiti und den kulturellen Herausforderungen, die dort mit der Förderung frühkindlichen Naturerlebens verbunden sind, erzählt Aurélie Ira.
Laura Malavasi geht auf die Theorie von Kindern als AkteurInnen und Mitwirkenden an ihrer eigenen Entwicklung und ihrem Verhältnis zu Natur und Umwelt ein. Ellen Beate Hansen Sandseter schließt mit der Frage nach dem riskanten Spiel und seiner Bedeutung für die Wahrnehmung von Umwelt und Selbst durch das Kind an. Danach stellt Alberto Rabitti eine neue Entwicklung in Italien vor, den Außenbereich von Kinderbetreuungseinrichtungen zu gestalten, und Gillian Cante beleuchtet das Engagement der französischen Organisation L‘Académie de la Petite Enfance, neben Eltern und PädagogInnen auch politische EntscheidungsträgerInnen in die nachhaltige Entwicklung einzubinden. Abschließend präsentieren drei Autorinnen aus Portugal ihre Ideen, Nachhaltigkeit in der frühkindlichen Betreuung in einem gemeinsamen Projekt von Universität und Betreuungseinrichtungen anzugehen.
In dieser Ausgabe haben wir uns darauf konzentriert, verschiedene Praktiken und Theorien zur Entwicklung nachhaltigen Handelns und Denkens in der frühen Kindheit zu diskutieren – statt fertige Lösungen oder Richtlinien vorzustellen. Kinder und Natur sind zwei dauerhaft verbundene und korrespondierende Themen, die in mehr als einer Ausgabe unseres Magazins behandelt werden müssen. Während es in der Entwicklung pädagogischer Theorien und Praktiken weiterhin nationale und regionale Unterschiede gibt, hoffen wir, dass unsere neun Artikel die Diskussion über diese Grenzen hinaus anregen können.
Viel Spaß beim Lesen wünscht die Redaktion der zweiten Ausgabe von KINDER in Europa heute