Die »Hotspots« auf den griechischen Inseln Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos dienen als Erstaufnahmelager für viele Menschen, die übers Mittelmeer nach Europa geflüchtet sind. Wie geht es den Kindern, die dort leben müssen? Niki Bibudis berichtet von der Situation im Hotspot Vial im September 2019.
Das Registrierungs- und Identifizierungszentrum (RIC) oder auch der »Hotspot« Vial wurde im Februar 2016 auf der Insel Chios eingerichtet – in einer verlassenen Aluminiumfabrik. Sie liegt neun Kilometer von der Stadt Chios entfernt, nur wenige Kilometer trennen sie von der Grenze zur Türkei.1 Vial dient als geschlossene Einrichtung2 für die Identifizierung und Registrierung von AsylbewerberInnen und zur Bearbeitung ihrer Asylanträge. Beim Warten darauf, dass ihre Anträge bewilligt werden, verbringen die Menschen zwischen vier und sieben Monaten oder noch länger im RIC. Auf beiden Seiten des Geländes gibt es zwei Areale im Freien, die aus vorgefertigten Wohncontainern und Zelten bestehen: Unterbringungszone A und Unterbringungszone B, die auch eine Sicherheitszone für unbegleitete Minderjährige umfasst. Neben Unterbringungszone B liegt die Unterbringungszone C, wo die Menschen in Hallen und Zelten kampieren. Weitere Zelte befinden sich außerhalb des eigentlichen Lagers.
Kein Raum für Kinder?
Laut einem Bericht des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) leben derzeit 26.800 Flüchtlinge und MigrantInnen auf den Ägäischen Inseln – darunter 9.380 Kinder, von denen 60 Prozent jünger als 12 Jahre sind. Vial wurde ursprünglich mit einer Kapazität von 1.014
Plätzen gebaut. Im Februar 2018 erließ der griechische Staatsrat eine vorläufige Anordnung, wonach die Belegung des Hotspots 100 Fertighäuser und 1.247 BewohnerInnen nicht überschreiten sollte. Gegenwärtig leben 3.156 Personen im RIC. Die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte schätzt, dass sich im Februar 2019 357 Kinder in Vial befanden.
Im Lager gibt es ein eigenes Areal für die Bedürfnisse von Kindern.3 Alle Kinder im Alter von vier bis fünf Jahren haben Zugang zu einem Kindergarten, der vom Bildungsministerium betrieben wird. Die Plätze sind jedoch begrenzt, und Kinder, die nicht geimpft sind, werden nicht in den Kindergarten aufgenommen. Familien mit Kindern im Schulalter können sich an das Lernzentrum wenden und sich von den KoordinatorInnen für Flüchtlingsbildung über die Anmeldung ihrer Kinder an öffentlichen Schulen beraten lassen. Darüber hinaus gibt es einen Mutter- Baby-Bereich, in dem sich Mütter mit Kindern unter zwei Jahren und Schwangere aufhalten können und Informationen über Stillen und Ernährung erhalten. Nicht zuletzt steht auch ein separater Raum zur Verfügung, in dem psychosoziale Unterstützung und Therapiestunden für Kinder, die besonderer Aufmerksamkeit bedürfen, angeboten werden.
Genau gegenüber, direkt am Eingang des RIC, befindet sich ein Fußballplatz, auf dem die Kinder spielen können. Dort finden auch die Freizeitaktivitäten statt, die Freiwillige für sie organisieren: Das Chios Eastern Shore Responsibility Team (CERST) bietet jeden Montag, Mittwoch und Freitag von 17.00 bis 18.30 Uhr eine Spielstunde an. Die Freiwilligen singen mit den Kindern und leiten Regelspiele an, z.B. »Fischer, wie tief ist das Wasser?«. Außerdem bieten sie ihnen Gelegenheit zum freien Spiel: Basteln, Hüpfen, Zeichnen und Lego. Mit diesen Aktivitäten zielt CERST darauf ab, die psychische Entwicklung der Kinder in der gefährlichen Umgebung, in der sie leben, zu unterstützen und den Eltern etwas Ruhe zu verschaffen.
Weitere AkteurInnen von außerhalb sind PRAKSIS, die Kindern den Zugang zu medizinischer Grundversorgung und psychologischer und sozialer Unterstützung im Lager erleichtern.4 Das Leben in Vial stellt die Entwicklung der Kinder vor große Herausforderungen. Im Folgenden möchte ich die Hauptfaktoren zu beschreiben, die eine altersgemäße und gelingende physische, psychische und soziale Entwicklung behindern. Dafür habe ich neun Mütter von Kindern im Alter von null bis sechs Jahren befragt.
Niki Bibudis arbeitet für Equal Right Beyond Borders, eine Organisation, die sich für Familienzusammenführungen in Europa einsetzt und Asylsuchenden in den griechischen EU-Hotspots rechtliche Unterstützung anbietet.
Info
www.equal-rights.org
1 Antonakaki M., Kasparek B., Maniatis G. (2016): Counting heads and channelling bodies. The hotspot centre VIAL in Chios, Greece. Unter: www.b-kasparek.net
2 Nach dem EU-Türkei-Abkommen vom März 2016 wurden die RIC zu geschlossenen Einrichtungen: Allen BewohnerInnen von Vial ist es untersagt, die Insel Chios zu verlassen. Das gilt automatisch für jeden Geflüchteten, der in ihr Hoheitsgebiet einreist, es sei denn, er wird als schutzbedürftig eingestuft oder unterliegt dem Dublin-III-Verfahren.
3 Das UNHCR spricht in diesem Zusammenhang von »kinderfreundlichen Räumen« (childfriendly spaces).
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe KINDER in Europa heute 03/20 lesen.