Menschenskinder: Risiko im Programm
In der Kita Menschenskinder im Berliner Bezirk Friedrichshain beobachtet unsere Redakteurin Jutta Gruber die Umsetzung der fünften von insgesamt acht pädagogischen Strategien des Early Excellence-Ansatzes – »Das Kind dabei unterstützen, angemessene Risiken einzugehen« – im pädagogischen Alltag. Ihr Austausch mit der Leitung Eva Messlin und dem Team der Konsultationskita für den Early Excellence-Ansatz macht nachvollziehbar, was dafür zu tun und zu lassen ist.
An einem besonders schönen Tag besuche ich die Menschenskinder im Berliner Bezirk Friedrichshain. Es ist nicht zu heiß und nicht zu kalt. Hin und wieder bricht die Wolkendecke auf und gibt den Blick auf einen bilderbuchblauen Himmel frei. Alle sind bester Laune im Außengelände unterwegs. Sogar der Kickertisch darf heute im Freien stehen. Ob es im Sinne des Erfinders ist, dass ein Kind seine Spielposition optimiert, indem es auf dem Sitz eines Dreirades steht, sehen die einen so, die anderen so.
Go und No-Go
Ein Team mit unterschiedlichen Meinungen zur Risikoeinschätzung sei gut und richtig, erfahre ich von Kitaleitung Eva Messlin. Ich treffe sie in ihrem Büro, bevor ich mich selbst auf den Weg durch die Einrichtung, auf der Suche nach risikohaften Erfahrungen, begebe. Wichtig sei jedoch, dass alle von ihr als Dienstanweisungen formulierten No-Gos, wie z.B. »der Fallschutz muss gewährleistet«, eingehalten werden. »Im Garten haben wir nicht nur Schaukeln, mit denen sich richtig hoch schaukeln lässt, sondern auch hohe Klettergerüste, eine Slackline, Hängematten und vieles mehr, von dem Kinder herunterfallen können.« Fallschutz bedeute also nicht, dass ein Kind nicht herunterfallen darf, sondern dass ein Untergrund gewährleistet sein muss, auf dem ein Sturz glimpflich ausgeht. Deshalb sei eins der No-Gos, dass dort harte Gegenstände liegen: »Runterfallen ist in Ordnung, aber nicht auf einen Stein oder einen Metallgegenstand.« Dies würde auch den Kindern, selbstverständlich kindgerecht, vermittelt: »Wenn wir Kinder dazu anhalten, Steine an die erlaubten Orte zurückzubringen, sagen wir: Guck mal, wenn du von oben auf die Hackschnitzel fällst, passiert vielleicht was, aber das wird nicht so schlimm sein. Wenn du aber auf den Stein fällst, vielleicht sogar mit dem Kopf drauf landest, dann ist es nicht gut. Also schlepp den Stein bitte wieder von hier weg.« Die Steine abzuschaffen, ist für sie keine Alternative: »Wir wollen, dass die Kinder sie umherschleppen und damit bauen können. Aber eben nicht an allen Orten.
Eltern
Spannend sei der Austausch mit den Eltern anlässlich eines jüngsten Elternabends zum Thema Risikoeinschätzung gewesen. »Für jenen Abend stellten wir Fotos von risikohaften Situationen zusammen und baten die Eltern, dort ihre Einschätzungen zu Go und No-Go mit grünen und roten Aufklebern sichtbar zu machen. Diese fielen überraschend unterschiedlich aus und basierten überwiegen auf persönlichen Erfahrungen. »Ein Papa, der selbst gut klettern kann, klebte stolz einen grünen Go-Aufkleber an ein Foto, auf dem seine beiden Kinder den Bauzaun am Bolzplatz hochklettern.« Das ginge aber gar nicht, so Eva Messlin weiter, »denn der Zaun ist sehr hoch und der Boden vom Bolzplatz richtig hart.«
Sogar eine eher ängstliche Mutter hätte einen grünen Aufkleber an dieses Foto geklebt. Danach befragt, habe sie erklärt, dass ihr Sohn gut klettern kann. »Das mag auch stimmen, dennoch können wir die Verantwortung für das Klettern am Zaun des Bolzplatzes nicht übernehmen. Gerade in einer Kita wie der unseren, in der wir den Kindern viel zutrauen wollen, ist es besonders wichtig, verbindliche Absicherungen und Grenzen zu definieren und einzuhalten und das Tun der Kinder stets im Blick zu behalten. Ich glaube, dass wir den Eltern transparent machen konnten, dass diese Absicherungen gerade deshalb wichtig sind, weil wir – Eltern wie Fachkräfte – Situationen aufgrund unserer persönlichen Erfahrungen unterschiedlich einschätzen.«
In der Kita Menschenskinder begleiten 26 Mitarbeitende insgesamt 100 Kita- und Krippenkinder. Das Team der Konsultationskita für den Early Excellence-Ansatz hat einen naturpädagogischen Anspruch und belegte 2018 für seine auch über die Einrichtung hinaus gelebte Demokratie, Teilhabe und Solidarität den 2. Platz beim Deutschen Kita-Preis. Auf YouTube findet man unter Eingabe der Stichworte »Kita Preis 2018 Menschenskinder« einen zweiminütigen Imagefilm über die Einrichtung: www.youtube.com/watch?v=RlnAzEQqAGA (20.05.24). Die Einrichtung in der Fürstenwalder Straße ist Teil der menschenskinder-berlin gGmbH, die auch das Familienzentrum Menschenskinder, den interkulturellen Nachbarschaftsgarten »MenschenskinderGarten«, das Projekt »Starke Kinder« und seit 2023 auch die Kita Menschenskinder in der Landsberger Allee betreibt. Wer Freude daran hat, sich einzubringen und auf Neues einzulassen, Dinge auszuhandeln und voneinander zu lernen, ist herzlich eingeladen, die Stellenanzeigen auf www.menschenskinder-berlin.eu zu lesen oder einfach unter der Telefonnummer 030-235 999 610 anzurufen.
Kontakt
www.menschenskinder-berlin.eu
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 05-06/2024 lesen.